Artikel von 20.06.2020

Babylonisches Sprachengewirr oder nur fehlendes Verständnis?

Unterhaltungsaufwand oder Anschaffungs-/Herstellkosten?

Diese Frage stellt sich in einer Reihe von Kommunen gerade bei der Kanalsanierung immer wieder.

Warum dies so ist wird deutlich, wenn Haushaltsfachleute und Technikexperten miteinander ins Gespräch eintreten und die jeweilige Haltung darlegen. Auf Seiten des Haushaltswesens werden hier steuer-, bilanzierungs-, haushalts- und gebührenrechtliche Aspekte ins Feld geführt. In einzelnen Beurteilungsgrundlagen werden hierbei gerne Beispiele aus dem Hochbau angeführt. Auf diese stützen sich im Übrigen auch die Prüfer der übergeordneten Prüfbehörden (z.B. Gemeindeprüfungsanstalt), die sich regelmäßig mit Ihrer Meinung positionieren, dass es sich in diesem Kontext zumeist um Unterhaltungsaufwand handele.

Auf fachtechnischer Seite gilt es indessen den Fokus auf die geseztlichen und normativen Sachverhalte zu lenken. Dies wird nach meiner Erfahrung zumeist vernachlässigt und somit eine ausgewogene Meinungsbildung ggf. verhindert.

Das Paradebeispiel in dieser Fragestellung ist die Renovierung von Abwasserkanälen im Rahmen der Kanalsanierung.

Hier steht primär die Frage im Raum, ob (z.B. gem. § 44 Abs. 2 GemHVO Baden-Württemberg) bei einer Kanal-Renovierung hierbei eine "über den ursprünglichen Zustand hinausgehende, wesentliche Verbesserung" entsteht. Nur in diesem Fall handelt es sich um aktivierbare Anschaffungs-/Herstellkosten mit Abschreibungsmöglichkeit.

Der "Leitfaden zur Bilanzierung nach den Grundlagen des NKHR, Baden-Württemberg" (3. Auflage, Juni 2017; Lenkungsgruppe NKHR) formuliert zur Frage wann eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem ursrpünglichen Zustand vorliegt in Kap. 2.3.2.2.2: "Auch wenn die zentralen Ausstattungsmerkmale in wesentlichem Umfang auf einen heutigen Stand der Technik gebracht werden, ist eine wesentliche Verbesserung anzunehmen."

Dass im Falle der Renovierung von Abwasserkanälen wohl eine solche "Verbesserung" vorliegen dürfte, ergibt sich vom Grundsatz her aus dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG). In § 60 WHG ist festgelegt, dass nicht nur die "Herstellung", sondern auch "der Betrieb und die Unterhaltung" der Entwässerungsanlagen gemäß der technischen Regelwerke zu erfolgen hat.

Der Blick in dieses Regelwerk zeigt:

In der hierzu übergeordneten europäischen Norm (DIN EN 752) ist für die Abwasseranalgen als "Ziel" und "Leistungsanforderung" festgelegt, dass die "Anforderungen an ein saniertes System, den Anforderungen an ein neues System entsprechen". Insofern sind hinsichtlich der "funktionalen" Kriterien (Dichtheit, Standsicherheit, Betriebssicherheit) bei der Sanierung die Neubaustandards grundsätzlich zu erreichen. Insbesondere hinsichtlich des elementaren Aspekts der Dichtheit ist über die normative Mindestanforderung in der DIN EN 1610 zu dieser Frage festzustellen, dass für alle ab 1998 gebauten Abwasserkanäle drastisch höhere Anforderungen gelten als beim Bau bis gegen Ende 1997.

Die Abwasserkanalisation dient originär dem Gesundheits-, Trinkwasser- und Bodenschutz. Gerade bei unzureichender Dichtheit der Rohrverbindungen oder als Folge baulicher Defekten werden diese Schutzziele dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen. Die gesellschaftspolitische und umweltrelevante Bedeutung dieses Aspekts und die Wichtigkeit einer Verbesserung der Dichtheit zum Zeitpunkt der Sanierung wird nun deutlich.

Würde im Zuge der Renovierung gegenüber den früher zulässigen reduzierten Dichtheitsanforderungen (Baujahr <1998) keine Verbesserung gegenüber dem Ursprungszustand erreicht, könnte womöglich ein gesetzeswidriges Handeln vorliegen.

Das mit der Renovierung älterer Kanäle zumeist auch eine mehr oder weniger deutliche Nutzungsdauerverlängerung des Altbestands erreicht wird, sei nur der Vollständigkeit erwähnt.

Ein weiterer Aspekt:

Nach eigener Wahrnehmung und vereinzelten Bestätigungen aus Kämmerein wird in Kommunen mit der Festlegung "Renovierung = Instandhaltungsaufwand" mit deutlich höheren Quoten erneuert oder repariert als in Kommunen mit der Regelfestlegung "Renovierung = Invesition". Die Gründe sind nachvollziehbar:

Die Kanalerneuerung ganzer Kanalabschnitte stellen zweifelsfrei Anschaffungs- und Herstellkosten dar, auch dann, wenn die Abschreibungsdauer des Bestandskanals noch nicht zu Ende ist. Die gebührenwirksamen Folgen sind klar: es werden hierdurch keine spontanen Gebührenerhöhungen erforderlich. Allerdings werden für deutlich mehr Geld Substanzwerte ohne Not vernichtet. In Zeiten einer kritischen Betrachtung des Ressourcenverbrauchs (Kies, Sand, Deponievolumen, Energiebilanz) stellt sich dieses Vorgehen als kontraproduktiv dar.

Die Reparatur nur einzelner Kanalschäden ist zweifelsfrei Instandhaltungsaufwand. Die Kosten sind hierfür insofern gering, so dass es nicht zu nennenwerten Gebührenerhöhungen kommen muss. Allerdings findet in diesem Kontext (wenn überhaupt) nur der wasserrechtliche Aspekt Berücksichtigung. Optisch zumeist nicht erkennbare Undichtigkeiten der Rohrverbindungen älterer Kanäle bleiben hierbei völlig unberücksichtigt. Der Substanzerhalt und Vermögensschutz - wie er gerade mit den modernen Methoden der Renovierung ganzer Kanalstrecken erreicht werden kann - wird hierbei sträflich vernachlässigt, was sich in späteren Jahrzehnten mit einem vorschnellen Substanzverlust rächen dürfte.

Alterungsprognosen und Sanierungsstrategien, wie sie heute von weitsichtigen Kanalnetzbetreibern mehr und mehr veranlasst werden, sprechen im Ergebnis eine zweifelsfreie Sprache. Der ausgewogene Mix an technischen Lösungen und ein gebührenrechtlich angemessener Umgang mit den Kosten lassen eine generationenübergreifend gerechte Aufgabenerfüllung zu.

Sollten sich die scheinbar auslegbaren Begrifflichkeiten interdisziplinär nicht überein bringen lassen und/oder kein Einvernehmen in der Einschätzung auf breiter Front erzielt werden können, ist dem Gesetzgeber anzuraten, diese Frage gesetzgeberisch zu klären (z.B. KAG). Im Sinne der Gebührenzahler und der Umwelt, muss es aus meiner Sicht gelingen, die Renovierung - wie oft ohnehin schon so festgelegt - auch ggf. formal korrekt den Anschaffungs-/Herstellkosten zuordnen zu dürfen.